WAR IS (NOT) OVER
Zürich
30.11.2024–9.5.2025
Öffnung: Freitag, 29.11.24, 6 pm
Marina Abramović, Frédéric Bruly Bouabré, Sophie Calle, Max Daetwyler, Martin Dammann, Francisco de Goya, Thomas Galler, Andrew Gilbert, Shaun Gladwell, Andy Hope 1930, Doug Mills, Roman Ondák, Walid Raad, Jason Rhodes, Ivan Vucci, anonyme Fotografien and Archives of Modern Conflicts
Zu Weihnachten 1969 veröffentlichten John Lennon und Yoko Ono eine ganzseitige Anzeige in der New York Times: „War is over – if you want it“, eine Strophe aus einem Song des Albums „Happy Xmas (War Is Over)“. Der Liedtext basiert auf dem Slogan einer Antikriegskampagne von Lennon und Ono aus dem Dezember 1969. Für diese Kampagne mieteten die beiden Werbeflächen auf Plakatwänden in mehreren Grossstädten weltweit, darunter New York, Los Angeles, Toronto, Tokio, Rom und Berlin. Die Aufschrift lautete: «WAR IS OVER! IF YOU WANT IT Frohe Weihnachten von John & Yoko». Der Vietnamkrieg war der erste Krieg, der nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Bildern geführt wurde. Pressefotos von der Front erreichten Millionen von Amerikanern und trugen massgeblich zum Ende des Vietnamkriegs bei. Einige dieser meist anonymen Fotos sind auch Teil unserer Ausstellung. Der Krieg dauerte bis zum 30. April 1975 und war der erste Krieg, den die USA verloren.
Am 21. August 1968 erlebte ich als Zwölfjähriger den Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei. Ich werde die sowjetischen Panzer und die demonstrierenden Studenten auf dem Wenzelsplatz nie vergessen. Nach der Kubakrise war dies der unrühmliche Höhepunkt des Kalten Krieges.
Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums hofften wir alle auf das lang ersehnte „Ende der Geschichte“ – das Ende der europäischen Kriege. Es war die Zeit des Pazifismus. Atomraketen wurden verschrottet und Armeen aufgelöst. Niemand konnte sich ein Bedrohungsszenario vorstellen. Auch die Schweizer Armee schien nutzlos. Doch dann kamen Anfang der 1990er Jahre die Jugoslawienkriege. Über 200.000 Menschen starben in Serbien, Kroatien, Bosnien, Slowenien und im Kosovo. Massengräber wurden ausgehoben, und ihre Bilder schockierten die Welt. Das deutsche „Nie wieder“ zerplatzte wie eine Seifenblase in der Sonne. Seitdem geschah alles in rascher Folge: 11. September, Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Palästina. Der internationalisierte Terrorismus brachte den Krieg ins Herz der westlichen Zivilisationen. Viele afrikanische Kriege fanden unter dem Radar der Weltpresse statt – zu weit weg, um uns zu betreffen. Doch mit den Flüchtlingen, die über die Sahara nach Europa strömen, erreichen uns auch die afrikanischen Kriege.
Doch erst der russische Angriff auf die Ukraine führte uns unsere Verwundbarkeit vor Augen. Der Krieg ist in Europa angekommen – DER KRIEG IST NICHT VORBEI. Die „Achse des Widerstands“, Russland, Iran und China, fordern die westliche Welt heraus. Wirtschaftliche und militärische Dominanz, aber auch die westlichen Werte werden in Frage gestellt. Dieser Systemwettbewerb birgt das Potenzial, zu einem Krieg der Welten zu führen.
Diese Ausstellung zeigt Werke aus der Sammlung Tichyocean, die sich mit Krieg auseinandersetzen. Thomas Galler beschäftigt sich mit Waffen und Gewalt in den Medien. Shaun Gladwell war ein „embedded“ Fotograf und reiste 2009 mit australischen Soldaten nach Afghanistan. Walid Raad erforscht die Kriege in seiner Heimat, dem Libanon. Martin Damann bearbeitete Fotos, die Wehrmachtssoldaten in ihrer Freizeit an der Ostfront aufnahmen. Der Engländer Andrew Gilbert beschäftigte sich mit den Kolonialkriegen in Afrika. Ivan Vucci fotografierte das Attentat auf Donald Trump aus nächster Nähe. Max Daettwyler repräsentiert die pazifistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Dies sind einige Beispiele der ausgestellten Werke. Ergänzt wird die Ausstellung durch anonyme Fotografien aus dem Vietnamkrieg und der sowjetischen Besetzung Prags 1968 sowie Bücher aus den Archives of Modern Conflicts.
Was kann Kunst bewirken? Sind wir nicht alle für den Frieden? Aber was sollten wir tun? Wir werden sieben Minuten lang für den Frieden schweigen, inspiriert von Marina Abramović. Ist das alles, was Künstler tun können? Schweigen? Ja, das ist alles. Kunst ist ohnmächtig – machtlos und mächtig zugleich. Wir stehen am Rande des Geschehens. Wir beobachten, beschreiben, reflektieren. Wie Francisco de Goya stehen wir unbewaffnet neben dem Berg der Leichen, nur mit Bleistift oder Kamera zur Hand. Los desastres de la guerra. Ecce Homo, ecce arte. Kriege vergehen, aber Kunst bleibt. Kann sie uns verändern? Aufgeben ist keine Option. Es geht um die Welt, wie wir sie lieben. STELL DIR FRIEDEN VOR, ABER SEI BEREIT FÜR KRIEG!
Roman Buxbaum im September 2024