Geboren 1966 in Breitenbrunn, Deutschland, lebt in Berlin
Die Gemälde von Amelie von Wulffen sind wie Erinnerungen: verschwommen, nebelig, verschwinden und tauchen wieder auf, ungreifbar und überbelichtet, manchmal sogar von Schmutz bedeckt. Ihr Motiv schwebt in einem undefinierbaren Raum und einer undefinierbaren Zeit. Tatsächlich sind sie nicht einmal wahre Gemälde; größtenteils handelt es sich um riesige, schwarz-weiße Fotografien, die bemalt sind und mit verschiedenen Fotografien und ausgeschnittenen Bildern aus Büchern und Zeitungen beklebt wurden. Bei Ausstellungen geht dieser „Malprozess“ oft über den Rahmen des Bildes hinaus und setzt sich auf benachbarten Wänden, Paneelen, Möbeln oder Bänken fort. Zeichnung, Malerei und Fotocollage bilden somit eine Einheit, die manchmal den Charakter einer Installation annimmt. Diese Art der Kombination ist typisch für das Werk einer der erfolgreichsten Malerinnen ihrer Generation.
Amelie von Wulffen malt oft Bilder innerhalb von Bildern, manchmal in mehreren übereinander liegenden Schichten. Ihr bevorzugtes Thema ist die städtische Architektur, insbesondere der Funktionalismus. Vor einem riesigen schwarz-weißen Foto eines geometrisch segmentierten Gebäudekomplexes aus den 1930er Jahren erheben sich die Türme einer surrealen Architektur in den Raum und schaffen etwas zwischen Science Fiction und der altmodischen Welt der Hollywood-B-Movies. Ein weiteres wiederkehrendes Thema sind Interieurs mit Empire-Möbeln, insbesondere Schlafzimmer mit großen Betten, Spiegeln, Gemälden in schweren Rahmen und Vorhängen mit üppigen Falten. Von Wulffen bevölkert diese Innenräume mit geheimnisvollen Wesen, die langes, fließendes Haar haben, als wären sie in Trance und in historischen Kostümen gekleidet. Der Blick des Betrachters wird auf ihre Gesichter gelenkt; ihre großen Augen starren ins Leere und ihre Körper lösen sich wie Dampf auf. Die Welt von Wulffen ist wie eine riesige Illusion. Und das, obwohl sie gelegentlich grobe Farbschichten verwendet, die ihren Gemälden einen alltäglichen und gewöhnlichen Charakter verleihen. Trotz dieser groben Farbschichten wirken ihre Collage-Gemälde und Zeichnungen, die sich wie dampfige Nebel über die Wände des Ausstellungsraums ausbreiten, leicht, fast impressionistisch. Doch manchmal begegnen wir auch der Realität. Zum Beispiel, wenn wir – mitten in den Vorhängen und alten Möbeln, den Farbschichten und Fotografien – plötzlich die klaren Umrisse eines bekannten Gesichts oder Motivs entdecken: John Travolta oder die Großmutter der Malerin, Szenen aus den Gemälden von Albrecht Dürer oder sogar der russische Autor Alexander Solschenizyn. Sie tauchen plötzlich auf, wie eine Erinnerung. Oder sind Erinnerungen Illusionen?
Text von Noemi Smolik