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Andrew Gilbert Andrew Gilbert

Geboren 1980 in Edinburgh, Schottland, wohnhaft in Berlin

Andrew Gilberts Obsession gilt dem europäischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Seine Zeichnungen, Skulpturen und Installationen zeigen Uniformen, Waffen, afrikanische Fetische, Stammesführer, Göttinnen und auch marschierende oder kämpfende Soldaten. Doch all diese Uniformen und Waffen sind letztlich nur äußeres Dekor, das eines der tragischsten Dramen der Weltgeschichte verbirgt: die Kolonialisierung – eine von der europäischen Überlegenheitsvorstellung getragene Bestrebung, nicht-europäische Nationen zu erobern und zu beherrschen und gewaltsam europäische kulturelle Werte auf der ganzen Welt zu verbreiten.

Gilbert geht mit seiner Obsession so weit, dass er selbst vorgibt, ein echter General der britischen Armee zu sein, Andrew Gilbert Wauchope, und er schreibt sogar fiktive Briefe unter seinem Namen oder wird als Zulu-Königin – Königin der afrikanischen Nation, gegen die die Briten eine blutige Kriegskampagne führen – wiedergeboren. Und tatsächlich ist dies Gewalt und Überlegenheit, und insbesondere sexuelle und rassistische Projektionen als Ursprung dieser Gewalt. So sehen wir auf Gilberts Zeichnungen nicht nur Mord und Vergewaltigung, sondern auch die absurdesten sexuellen Fantasien, bei denen alle denkbaren Grenzen überschritten werden, einschließlich der zwischen Mensch und Tier. Die Zeichnung „Die Geburt von Andrew, dem Kaiser von Afrika“ aus 2010 zeigt eine sitzende afrikanische Frau mit eisernen Fesseln um ihren Hals und ihre Handgelenke, ein Penis, der aus ihrem kopfartigen Schädel herausragt, und ein britischer Soldat mit einer Pistole und einem Schwert in den Händen, der aus ihrer Vulva hervorkommt. Und doch haben diese schrecklichen Szenen die Wirkung verführerischer Schönheit, besonders wegen der Farben. Selbst der ursprüngliche Gedanke des kulturellen Nutzens der westlichen Zivilisation war verführerisch. Doch das änderte sich bald in schiere Terror.

Gilbert hat in dieser Hinsicht nicht nur die Schrecken des Kolonialismus und die damit verbundenen sexuellen und rassistischen Fantasien entblößt, sondern auch darauf hingewiesen, dass selbst die europäische Kultur, die sich selbst als überlegen betrachtete, in primitiven Aberglauben, Fetischismus, Aggression und sexuellen Obsessionen verwurzelt war und noch immer ist. Trotz all der Perversität und des Terrors erscheinen Gilberts Helden, besonders seine lebensgroßen Strohmännchen, die in echten, wenn auch abgenutzten Uniformen gekleidet sind, komisch und harmlos. Ihre Ära ist für immer vergangen. Nur bestimmte exotische Erinnerungen sind geblieben und ein Versuch, sich irgendwie mit diesem Zeitalter der Geschichte auseinanderzusetzen. Andernfalls gehört sogar der bekannte afrikanische Entdecker aus Prag, Emil Holub, zu diesen exotischen Erinnerungen, der zusammen mit anderen Figuren Teil dieses verführerisch schrecklichen Panoptikums des Kolonialismus ist.

Text von Noemi Smolik