Geboren 1946 in Zürich, Schweiz, lebt in Richterswil
Als kleiner Junge sah Bernhard Schobinger die Figur eines Pelikans, der seinen Kindern Blut aus seinem eigenen Herzen auf einem Querbalken in der Wallfahrtskirche Hergiswald im Kanton Luzern fütterte. Für den späteren Schmuckkünstler wurde dieser Pelikan-Mythos die prägendste Erfahrung seiner Kindheit. Der Besuch dieser prachtvollen Kirche, so erzählt Schobinger, „war eine mystische Erfahrung für mich, die zu dem Wunsch führte, Goldschmied zu werden, um diesem Bereich nahe zu sein und mein Leben darin zu verbringen.“ Viele Jahre später – inzwischen ist Schobinger zu einem der weltweit renommiertesten Schmuckkünstler geworden, mit Ausstellungen unter anderem im MoMA in New York – erschuf er „Pelican Red Ink Pad“ (2003–2006). Von einer roten Halskette hängt ein Anhänger mit dem stilisierten Bild des Pelikans – einem Stempelkissen der deutschen Firma Pelikan. Auf dem blutroten Kissen liegen wie Eier zwei Tahiti-Perlen. Schobinger ist bekannt dafür, wertvolle Materialien, die typisch für Schmuck sind (wie Gold und Diamanten), mit scheinbar wertlosen Objekten wie abgenutztem Draht, alten Schrauben und Scherben zu kombinieren. Der kreative Akt des Findens und Zusammenfügens heterogener Materialien erreicht in Arbeiten, die sowohl Schmuckstücke als auch Kunstwerke sind, die eine fast alchemistische Elektrizität besitzen, seinen Höhepunkt. Der kreative Einsatz von Symbolen und die Einbeziehung eines Diamanten im Deckel des Stempelkissens – da „das bedingungslose Opfer des Vogels für seine Jungen [eine] enorme Ausstrahlung“ besitzt – verleihen dem Werk eine Tiefe, die in Schmuckstücken nicht häufig zu finden ist. Schobinger bedauert, dass im Laufe der Kulturgeschichte die ursprünglichen magischen und mythischen Aspekte des Schmucks allmählich verschwunden sind. Neben dem Prestige, das er bereits im Paläolithikum besaß, hat die westliche Gesellschaft dem Schmuck seine metaphysische Bedeutung genommen, sodass nur noch sein absurder und gegenseitig vereinbarter monetärer Wert übrig bleibt. In seinen Arbeiten nimmt Schobinger klar Stellung gegen diese Reduktion auf den ökonomischen Wert und die verringerten symbolischen Bedeutungen des Schmucks. Die teuren Perlen liegen im Stempelkissen verborgen, das um den Hals getragen wird, mit geschlossenem Deckel. Diese „Eier“ (ein Symbol für den Kreislauf von Leben und Tod) sind ebenso sicher und geborgen wie die Kinder in der Obhut des Pelikans. Die Art und Weise, wie das Material verwendet wird, bestimmt die Absicht und das Bild. In den Worten des Künstlers sind wir „verführt, die Tatsache, dass ‚alles mit allem verbunden ist‘, als universelle Wahrheit zu sehen.“
Text von Noemi Smolik