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Daido Moriyama Daido Moriyama

Geboren 1938 in Ikeda, Japan

Moriyamas Fotografie wirkt starr und zugleich voller Leben. Es ist das Leben am Rande der Gesellschaft – mitten in der größenwahnsinnigen Stadt Tokio, im berüchtigten Viertel Shinjuku, das für seine engen, überladenen Gassen und sein exzessives Nachtleben bekannt ist. Seit über 40 Jahren begleitet Moriyama diesen Ort menschlicher Laster, Begierden und Leidenschaften aus der Perspektive eines gierigen Jägers. Egozentriker, Transvestiten, Prostituierte, Schauspieler und kämpfende Künstler, Homosexuelle, Jugendliche, Diebe, Drogenabhängige und Abenteurer erscheinen auf seinen meist schwarz-weißen Fotografien. Für einige Sekunden stehen sie im Fokus seiner Kamera. Herausgehoben aus ihrer trostlosen Banalität, scheinen sie außerhalb von Zeit und Raum zu existieren. Dies verleiht ihnen eine gewisse Theatralik, manchmal beinahe Tragik. Als ob sich hinter diesen Außenseitern etwas Unheilvolles verberge – irgendwo in den Tiefen der engen Straßen und verfallenen Hotelzimmer. Moriyamas erstes Fotobuch von 1962 trug den Titel „Tokyo, A Photo Theatre“.

Beeinflusst vom Fotografen Shomei Tomatsu, der einen strengen Realismus in die japanische Nachkriegsfotografie einführte, sowie von Andy Warhols Faszination für die Banalität des Alltags, schafft Moriyama ein soziales Panorama von ungewöhnlicher Rohheit. Eine seiner Techniken besteht darin, aus der Hüfte zu fotografieren, ohne durch den Sucher zu schauen. Die dadurch entstehenden oft unscharfen und verzerrten Bildausschnitte vermitteln eine eindringliche Intensität und rohe Authentizität, die provozieren kann. Ähnlich wie sein Freund, der Fotograf Nobuyoshi Araki, durchbricht Moriyama bewusst die sozialen Rituale und Tabus, die die japanische Gesellschaft in den 1960er und 1970er Jahren noch stark prägten. Es ist ein bewusster Versuch, eine gewisse Unmoral zu erreichen – eine Gemeinsamkeit, die diese beiden Künstler verbindet, die zudem zu den ersten japanischen Fotografen gehörten, die auch außerhalb Japans Erfolg hatten.

Was an Moriyamas Fotografie fasziniert, ist die ungewöhnliche Ambivalenz: Seine Bilder erzeugen Abscheu und Bewunderung zugleich. Sie sind eine erotische Herausforderung und zugleich Ausdruck von Demut. Sie grenzen aus und besänftigen zugleich. Sie sind ein Abenteuer, eine Flucht vor der Realität – und zugleich ein grausamer Spiegel eben dieser Realität, der menschliche Wünsche und Leidenschaften reflektiert – und vor allem die Seele des Autors selbst. „Meine Fotografie ist Ausdruck von Verlangen“, erklärt Moriyama. „Die innere Welt trifft auf das Äußere und nimmt so bestimmte Formen an. Wenn mein Verlangen eine bestimmte Form annimmt, entsteht daraus Fotografie.“

Text von Noemi Smolik