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Erik Van Lieshout Erik Van Lieshout

Geboren 1968 in Deurne, lebt in Rotterdam

Peinlichkeit ist das Thema von Erik van Lieshout. Peinliche Situationen zu erzeugen, über Dinge zu sprechen, über die man lieber schweigt, schmerzhafte Beziehungen zu analysieren oder ein chinesisches Mädchen dazu zu bringen, das Wort Feminismus auszusprechen – all das greift er in seinen Filmen auf und bringt es in den Ausstellungsraum. Und wenn es für das Publikum schon unangenehm ist, diese Filme im geschützten Raum eines Museums anzusehen – wie müssen sich dann wohl die Menschen gefühlt haben, die vor der Kamera stehen? Meistens sind es Lieshouts Verwandte, Freunde, Fremde, Homosexuelle, Rassisten, Drogenabhängige, Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Was vor der Kamera passiert, ist nicht immer politisch korrekt – aber genau darum geht es: sich ohne Scham und Hemmungen in den Strom des Lebens zu werfen. Die Kontrolle zu verlieren, wie der Künstler selbst sagt – auch, weil die Menschen heute immer mehr das Bedürfnis haben, alles im Griff zu haben. Lieshout selbst scheint mit genau diesem Widerspruch zu ringen.

Klar ist aber auch: Diese Filme sind keine authentischen, zufällig entstandenen Dokumentationen. Sie sind sorgfältig konstruierte, aufwendig montierte Gebilde – irgendwo zwischen Erzählung und Bekenntnis, zwischen Inszenierung und Realität.

Aus der Hip-Hop-Szene sozial schwieriger Stadtviertel in den Niederlanden kommend, widmet sich Lieshout zu Beginn seiner Karriere zunächst der Frage nach der eigenen Identität. Und womit beginnt er? Fast naiv, in Anlehnung an Freud, analysiert er das Verhältnis zu seiner dominanten Mutter. Sein Film „Up“ von 2007 schwankt zwischen Zuneigung, Hass, Angst und Widerstand. Tabus gibt es keine, selbst Gespräche mit einem Psychoanalytiker werden zum Thema. 2009 entsteht „Sex is Sentimental“, in dem sich Lieshout in seine blonde Assistentin verliebt – ein Konflikt zwischen Leidenschaft und Kunst, den er, wie sollte es anders sein, erneut zum Gegenstand eines Films macht.

Das Thema Konsumkritik greift Lieshout auf weniger peinliche, dafür umso absurdere Weise auf: Mit seinem Online-Shop, der unter dem Label „buy none/get none – Free“ firmiert, wirbt er für den Slogan „Real Luxury is Buying Nothing“.

Begleitet werden seine Filme bei Ausstellungen oft von wilden Zeichnungen, pornografischen Collagen und grafisch verfremdeten Schriftzügen. Trotz aller Peinlichkeit – oder vielleicht gerade deswegen – ist der intensiven Wirkung seiner Arbeiten kaum zu entkommen.

Text von Noemi Smolik