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Ernesto Neto Ernesto Neto

Geboren 1964 in Rio de Janeiro, lebt ebenfalls in Rio de Janeiro

Neto lädt ein, seine Skulpturen zu berühren, zu besteigen, sich auf sie zu setzen oder in sie hinein zu legen. Manchmal kann man sie auch hören oder riechen. Ernesto Neto wurde vom Minimalismus der 1960er Jahre beeinflusst – er führt dessen Formreduktion weiter. Im Gegensatz zu den Minimalisten, die sich auf reine geometrische Formen konzentrierten, sind seine Formen jedoch biomorph. Ob sie an Pflanzen oder Körpergebilde erinnern – sie basieren immer auf organischen Strukturen. Manchmal handelt es sich um separate Objekte, in die man hineinkriechen kann wie in eine Art Schutzraum, wie bei seinen „Humanoids“ von 2001 (Neto hat nichts dagegen, wenn man dies mit pränatalen Erfahrungen in Verbindung bringt). In anderen Fällen handelt es sich um Installationen, die sich wie Spinnennetze durch den gesamten Raum ziehen oder sich wie Pilze nach einem Regenguss ausbreiten.

Solche biomorphen Formen sind in der Geschichte der europäischen modernen und zeitgenössischen Kunst relativ selten. Noch ungewöhnlicher ist allerdings das Material, das Neto verwendet. Er näht seine Formen hauptsächlich aus elastischem oder transparentem Strumpfmaterial, das er manchmal einfärbt oder auch in seiner natürlichen fleischfarbenen Tönung belässt. Die genähten Formen füllt er mit Styroporkugeln oder spannt sie über Holzstrukturen. Dadurch hängen die Objekte wie Eiszapfen von der Decke des Ausstellungsraums. Manchmal entstehen kleine Höhlen oder Kapellen. In jedem Fall wirken diese nicht-mechanischen, seltsamen, formlosen Gebilde, die von der Decke hängen oder auf dem Boden liegen, leicht, transparent und schwerelos – und rufen oft starke erotische Assoziationen hervor. Manchmal füllt Neto „Tränen“ aus Strumpfmaterial mit Gewürzen, deren betörender Duft sich im Raum verbreitet und die erotische Wirkung der Objekte und Installationen noch verstärkt.

Der Körper, die Haut und ihr Verhältnis zum Raum – das sind die zentralen Elemente, mit denen Neto arbeitet. Deshalb betont er auch, wie wichtig es ist, seine Skulpturen zu berühren und mit ihnen zu interagieren. Erst durch das Handeln des Publikums – ob es das Objekt umarmt, hindurchkriecht oder sich hineinsetzt – entsteht das Werk als ein einzigartiges Erlebnis.

Neto war einer der ersten internationalen Künstler, der sich begeistert für die Fotografie von Miroslav Tichý interessierte. Als Tichý 2011 starb, errichtete Neto ihm zu Ehren eine Kapelle aus seinem typischen Strumpfmaterial. Darin zeigte er Reproduktionen von Tichýs Fotografien und nannte die Installation: „Blue Mist Gray Girls. In Memoriam Miroslav Tichý“.

Text von Noemi Smolik