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Georg Winter Georg Winter

Geboren 1962 in Biberbach, Deutschland, lebt in Stuttgart

Georg Winter interessiert sich für das „Unterbrechen und anschließende Entfernen des gewohnten Prozesses“ – so beschreibt er es jedenfalls. Diesem Ziel nähert er sich auf verschiedene Weisen. Die einfachste Methode besteht darin, Holzmodelle von Geräten wie einer Kamera oder einem Mobiltelefon zu erstellen und die Besucher seiner Ausstellungen einzuladen, diese wie das Original zu benutzen. Eine Person, die ein nutzloses Holztelefon hält, realisiert plötzlich und mit ganz anderer Intensität die Funktionen und Möglichkeiten von Werkzeugen, die sie ansonsten automatisch und unbewusst benutzt.

Im Rahmen eines Projekts mit dem Titel UCS Massen-Fernhypnose – das während einer Ausstellung im Museum Folkwang in Essen im Jahr 2010 stattfand – lud Winter die Besucher ein, sich einer Fernhypnose zu unterziehen. Unter der Aufsicht des Zürcher Psychiaters Roman Buxbaum und in Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Hypnotiseur Vicente de Maura, entspannten sich die Besucher auf Liegen und tauchten bewusst in eine Welt des Friedens ein, frei von äußeren Einflüssen und Sinneseindrücken. Danach konnten diejenigen, die wollten, sich von dem Künstler einige Tropfen in die Augen träufeln lassen, die nach der Hypnose leicht irritiert sein können. Diejenigen, die nicht an der Hypnose teilnehmen wollten, sollten den Satz wiederholen: „Ich möchte nicht an der Hypnose teilnehmen.“

Writers spektakulärstes Projekt ist wohl seine Performance STR – Space of Total Retreat, die er ebenfalls 2010 in Essen präsentierte. In der Mitte der Stadt ließ er eine einfache Holzstruktur errichten, die an die Hütte eines Eremiten erinnerte, auf einem erhöhten Podest. Vor den Augen des Publikums wurden die Stützträger nacheinander entfernt, bis das Gebäude einstürzte. Ein vorhersehbarer Prozess wird in Gang gesetzt: Sofort ruft jemand um Hilfe, und bald hört man die Sirenen der Feuerwehrfahrzeuge auf dem Weg zum Unfall. Das Gebiet wird abgesperrt, Schläuche werden herausgeholt, hektische Menschen rennen umher, ein ausgebildeter Hund erscheint auf der Szene, und aus dem Podest – das den Zusammenbruch des Gebäudes unbeschadet überstanden zu haben scheint – hören wir Stimmen. Die Feuerwehrleute schneiden eine Öffnung in das Podest, um die eingesperrten Personen zu befreien. Tragen werden herausgezogen, und Fotografen eilen aus allen Richtungen zum Unfallort. Doch Moment: Die Menschen auf den Tragen sind nur Notfalldummies. Plötzlich ist alles anders: Realität vermischt sich mit Fiktion. Was ist real und was Fiktion? Wie bei den Holztelefonen wird ein automatischer Prozess erneut real – eine echte, wenn auch nur vorgetäuschte Tragödie. Echt, weil wir uns ihrer bewusst sind.

Text von Noemi Smolik