Geboren 1952 in Füssen/Allgäu, Deutschland, wohnhaft in Düsseldorf
Kein anderer Künstler heute widmet sich mit so viel Leidenschaft der modernen Tradition. Aber was genau ist die moderne Tradition? In der Architektur ist es das Prinzip, dass die Form durch die Funktion bestimmt wird. In den 1920er Jahren war die deutsche „Bauhaus“-Schule von diesem Prinzip getrieben, und nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte der funktionalistische Ansatz die europäische Architektur. Wir alle kennen das Ergebnis: sterile Vororte aus Betonblocks. Später, in den 1980er Jahren, als die moderne Architektur aufgrund dieser Sterilität kritisiert wurde, begann Günther Förg, die funktionalistischen Bauten aus der Zwischenkriegszeit in Moskau, Rom, Tel Aviv und Frankfurt zu fotografieren.
In diesen großen, meist schwarz-weißen Fotos richtet Förg seinen Fokus auf die rationale Segmentierung, die raffinierte Eleganz der Gebäudestruktur und den geometrischen Charakter von Fenstern und Balkonen. Mit Hilfe von Luftaufnahmen und abenteuerlichen Blicken von unten, die die Perspektive verzerren und dadurch den Rhythmus der Struktur hervorheben, entstanden Fotografien, die oft wie geometrische Abstraktionen wirken. Förg ist dem russischen Künstler Alexander Rodtschenko verpflichtet, der diese Methode in den 1920er Jahren in die Fotografie einführte. Die Gebäude, die dieser deutsche Archäologe des Funktionalismus fotografierte, umfassen nicht nur Villen fortschrittlicher Architekten wie die Tugendhat-Villa in Brünn oder Wittgenstein in Wien, sondern auch die Città Universitaria in Rom und das IG-Farben-Gebäude in Frankfurt, zwei Bauten, die während der faschistischen Regime errichtet wurden. Das ist ein Paradoxon: Obwohl der Funktionalismus in den progressiven sozialistischen Utopien seinen Ursprung hatte, diente er auch den Ideologien kommunistischer und faschistischer Regime. Und es ist diese „Promiskuität“ der modernen Formen, die Förg interessiert.
In den 1990er Jahren begann Förg zu malen – verständlicherweise abstrakt. Schließlich wurde abstrakte Malerei über viele Jahre hinweg als der einzige mögliche Ausdruck moderner Kunst angesehen. Heute jedoch gibt es eine gewisse Skepsis gegenüber abstrakter Kunst. Die Erinnerung an diese Kunstform und ihr Abgleiten in den Bereich des Dekors ist noch lebendig. Trotz dessen – oder vielleicht gerade deswegen – hat Förg versucht, diese Kunst wieder zum Leben zu erwecken. Seine Bilder – große, farbenfrohe Flächen, die einen Dialog mit dem großen amerikanischen abstrakten Künstler Barnett Newman führen, mehrfarbige Farbflecken, die schnell mit dem Pinsel aufgetragen wurden, oder Raster, die die gesamte Fläche des Bildes einnehmen – sind der Beweis, dass abstrakte Kunst noch lange nicht tot ist.
Text von Noemi Smolik