Geboren 1955 in Orrville, USA, lebt in New York
Jenny Scobel ist eine Malerin ungewöhnlicher Porträts. Auf Holztafeln mit einer Schicht aus Gips und Marmorstau verwendet sie Graffiti und Ölfarben, um Porträts von Frauen zu malen, manchmal auch von Kindern. Ihre Ideen für die Gemälde findet sie in Zeitungen und Zeitschriften, oft nutzt sie Fotografien von Freunden oder lässt sich von Animationsfilmen und Kunstgeschichtsbüchern inspirieren. Die dargestellten Personen sind somit entweder völlig unbekannte, unauffällige und triviale Figuren oder weltberühmte Persönlichkeiten wie Jacqueline Kennedy oder Hollywood-Star Michelle Pfeiffer. Meist werden sie realistisch und frontal dargestellt, jedoch vor einem Hintergrund, der nicht ganz zu passen scheint. Sie haben oft einen abwesenden Ausdruck, manchmal wirken sie schüchtern, manchmal verführerisch. Die Tatsache, dass die Gemälde auf Fotografien basieren, erkennt man an der Art und Weise, wie Scobel mit Licht arbeitet.
Jenny Scobels Porträts sind bemerkenswert, da sie keiner bestimmten Zeitperiode zugeordnet werden können. Die dargestellten Personen stammen größtenteils aus unserer Epoche, doch ihre Kleidung und sogar ihre Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen gehören der Vergangenheit an. Scobel kleidet ihre Figuren bewusst in Kleidung aus den 1930er- und 1940er-Jahren oder in historische Gewänder, und manchmal tragen die Frauen Kopfbedeckungen, wie wir sie von Porträts des deutschen Malers Hans Holbein aus dem 15. Jahrhundert kennen. Das auffälligste Merkmal der dargestellten Personen ist jedoch, wie abgemagert und erschöpft sie erscheinen. Sie haben einen strengen, fast calvinistisch asketischen Blick. So stellte der amerikanische Maler Grant Wood seine Zeitgenossen während der Großen Depression in den 1930er-Jahren dar. Sein berühmtes „American Gothic“ (1930) zeigt ein sorgenvoll aussehendes, abgemagertes, vorzeitig gealtertes und ernst dreinblickendes Bauernpaar mit einer Heugabel. Scobel hat diese Darstellungsweise übernommen, in der die Figuren aus dem Bild zu treten scheinen und ihre Welt (im „American Gothic“ der Bauernhof im Hintergrund) hinter sich lassen.
Obwohl die dargestellten Personen den Großteil des Gemäldes einnehmen, widmet Scobel auch dem Hintergrund viel Aufmerksamkeit, der meist ziemlich ungewöhnlich ist: antike Tapeten mit floralen Mustern oder Landschaften, die aus der Vogelperspektive im Stil der italienischen Malerei des 15. Jahrhunderts gemalt sind. Trotz aller Naivität verleihen all diese Details den Porträts von Scobel einen Hauch von Morbidität, ein Gefühl, das durch die Wachsschicht, die sie verwendet, um die fertigen Gemälde zu versiegeln, weiter verstärkt wird.
Text von Noemi Smolik