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Jitka Hanzlová Jitka Hanzlová

Geboren 1958 in Rokytník, Tschechische Republik, lebt in Essen

Fotos vom menschlichen Körper oder von Landschaften überraschen heute kaum noch jemanden. Auch denkt kaum jemand über das Verhältnis von Bild und Realität nach. Es ist, als sei die hundert Jahre alte Warnung von Charles Baudelaire vergessen worden: Fotografie erschafft eine falsche Realität. Eine ganze Generation von Fotografinnen – insbesondere die Deutschen August Sander sowie Hilla und Bernd Becher – glaubte, dass ihre Fotografie objektiv sei. Nicht so Hanzlová. Sie nähert sich der Realität subjektiv. Während ihres Studiums an der Folkwangschule in Essen besuchte sie regelmäßig ihren Geburtsort Rokytník, um die Dorfbewohnerinnen zu fotografieren. Diese Fotos stellte sie dann gemeinsam mit Porträts von Menschen aus dem städtischen Umfeld aus. So wurden zwei gegensätzliche Perspektiven einander gegenübergestellt: Natur und Zivilisation.

Bekannt wurde Hanzlová zunächst durch ihre Serie „Female“ – Frauen, die sie spontan auf den Straßen europäischer und nordamerikanischer Städte fotografierte. Die Figuren auf diesen Bildern heben sich deutlich vom unscharfen Hintergrund ab. Die Frauen verschmelzen nicht mit der Umgebung, sondern behalten ihre Individualität – was in einer gesellschaftlich stark durch soziologische Kategorien geprägten Welt fast schon provokant wirkt. Diese Frauen stehen nicht stellvertretend für Berufe, Nationalitäten oder Minderheiten wie bei Sander – sie haben lediglich einen Vornamen, sonst nichts. Hanzlová kennt weder ihr Alter, ihren Beruf, noch ihren Wohnort. Sie begegnet ihnen zufällig und bittet sie um ein Foto. Alles passiert schnell. Sie stehen vor der Linse, zögern aber. Für sie ist das Innehalten und Posieren keine Selbstverständlichkeit. In den meisten Fällen ist es ein ungewohntes Gefühl – das Gefühl der Verlegenheit, wenn man eine peinliche Situation zu vermeiden versucht. Es gibt eine alte Volksweisheit, die besagt, dass eine auf eine Person gerichtete Linse wie eine Waffe ist, die auf ihre Würde zielt. Viele glaubten deshalb, dass ein Foto die Seele aus dem Körper raubt.

Tatsächlich ist es der Körper, den wir auf einem gewöhnlichen Foto sehen – das äußere Wesen, die Substanz. Hanzlovás Linse aber dringt tiefer vor, in das endlose Universum, das wir Mensch nennen – und trotz aller Zerbrechlichkeit und Unvollkommenheit strahlt es eine überraschende Würde aus. Doch um dies einfangen zu können, ist Ehrfurcht nötig. Und genau diese Ehrfurcht ist in Hanzlovás Fotografien spürbar – sei es gegenüber dem Menschen oder gegenüber der Natur, auf die sich ihre Arbeiten in den letzten Jahren zunehmend konzentriert haben. Hanzlová greift eine fast vergessene Frage auf: Welche Wirkung hat ein Foto auf die Individualität und Würde – nicht nur des Menschen, sondern auch der Natur?

Text von Noemi Smolik