Geboren 1970 in Tokio, lebt in Berlin
Jonathan Meese ist einer der wenigen Künstler, denen es immer noch gelingt, verstörende Kontroversen auszulösen. Kritiker sehen in ihm einen unkritischen, fast gefährlichen Bewunderer von Größenwahn und autoritären oder despotischen Strukturen. Befürworter hingegen schätzen ihn für seine Fähigkeit, sich ohne ethische Hemmungen mit verschiedenen Formen des Bösen auseinanderzusetzen. Das Böse scheint diesen Künstler anzuziehen, und so zögert er nicht, in seinen Performances den Hitlergruß zu verwenden. Natürlich beschränkt er sich dabei nicht nur auf Hitler. Schon von Beginn an setzte er sich mit Figuren wie dem Marquis de Sade – einem berüchtigten Verfechter des Bösen – oder Stalin auseinander.
Während seiner Performances singt Meese, zitiert Nietzsche, Hegel oder Wagner, heult, kriecht auf allen Vieren, zieht sich aus und wieder an, spuckt und schreit sich in hysterischer Ekstase aus – bis zur völligen Erschöpfung. Diese Auftritte dauern mitunter mehrere Stunden und fordern auch vom Publikum einiges ab. Sie finden auf Bühnenbildern statt, die Meese selbst gestaltet hat: bemalt, beklebt mit Porträts dieser Figuren, mit Ausschnitten aus Pornomagazinen und bekannten Publikationen, vor allem von deutschen Philosophen. Doch das Ganze erinnert weniger an Theater als an eine Horrorkammer, die viel besser zu Meeses phantasmagorischem Verhalten passt. Es überrascht daher nicht, dass Meese mehrfach für Theaterinszenierungen oder Performances an der Berliner Volksbühne eingeladen wurde.
Meeses Performances stehen in der Tradition der gefeierten Aktionen der Dadaisten 1916 im Zürcher „Cabaret Voltaire“ mit Hugo Ball, Tristan Tzara, Walter Serner, Emmy Hennings und Hans Arp. Auch Meese ist kein Heiliger. Im Guten erkennt er das Böse – und besitzt keinen Maßstab für das Böse. So übernimmt der Künstler die Rolle des Narren, der im Mittelalter als Einziger dem König widersprechen durfte. Auf diese Weise widersetzt sich Meese allem und jedem – im Namen der Kunst. Wie er erklärt: „Ob Kommunismus, Nationalsozialismus, das alte Ägypten oder Rom – nichts kehrt je zurück. Ich kann nicht hoffen, dass auf der Straße eine Revolution ausbricht. Die Menschen haben das nicht mehr in sich. Deshalb sollten wir versuchen, etwas anderes zu bewirken. Ein Vulkan der Kunst muss ausbrechen.“ Und darum müsse eine Diktatur der Kunst errichtet werden – im Namen der Liebe, der Demut und des Respekts. Eine Diktatur – nur ein wirklich provokanter Künstler könnte auf eine solche Idee kommen. Doch waren die Diktaturen der Vergangenheit, egal wofür sie standen, weniger wahnsinnig? Meese würde antworten: Ihr Untergang war, dass sie nicht wahnsinnig genug waren.
Text von Noemi Smolik