Geboren 1969 in Lancashire, Großbritannien, lebt in Brighton
Die Kunst von Keith Tyson scheint das gesamte Kosmos umfassen zu wollen: die Naturwissenschaften, Philosophie, Mathematik, Ästhetik und Science-Fiction. Dabei dient Sprache als Ausgangspunkt. Tyson erregte erstmals in den 1990er Jahren mit seiner „Artmachine“ Aufmerksamkeit, einer Kombination aus Computer-Logarithmen und Büchern, in die er verschiedene Wörter und ähnliche Begriffe eingab. Die zufällig entstandenen Wortkombinationen verwandelte er anschließend in Zeichnungen, Gemälde und Objekte, die er unter dem Titel From the Machine ausstellte. Er sammelte mehr als 14.000 solcher Ideen, von denen nur ein Bruchteil ausgestellt wurde. Es folgten Tysons History Paintings, die aus roten, grünen und schwarzen Streifen bestehen, deren Reihenfolge zufällig durch ein Roulette-Rad bestimmt wurde. Die Titel der Gemälde – zum Beispiel St. Petersburg 1905 – bezogen sich auf bekannte Casinos. In einem anderen Gemäldesatz, der zwischen 2005 und 2008 entstand, ließ Tyson alles dem Zufall überlassen. Er bedeckte Aluminiumtafeln mit Farben, Pigmenten und Chemikalien und setzte sie verschiedenen Temperaturen, Lichtverhältnissen und mechanischen Einflüssen aus. Das Ergebnis sind Farbgemälde, die an fantastische Landschaften, psychedelische Muster oder expressionistische abstrakte Malerei erinnern. Und weil sie von der Natur erschaffen wurden, nannte er sie The Nature Paintings.
Tysons bisher bemerkenswertestes Werk ist seine Large Field Array in der Pace Gallery in New York im Jahr 2006. In dieser Installation verwendete er ein modulares System, um eine Galerie und ihre Wände mit einer Vielzahl von Objekten zu füllen, darunter ein Abbild des Hochzeitstortes des Millionärs Donald Trump, das Logo der Londoner U-Bahn, ein Sessel in Form eines Skeletts oder ein Mittagessen, das für Weltraumflüge konzipiert wurde. Dieses Labyrinth der Pop-Kosmologie war für jede Art von Assoziationen offen. Tysons Ausstellung im Londoner Hauptsitz der Deutschen Bank, 12 Harmonics, war nicht weniger spektakulär. Die Kosmologie des 21. Jahrhunderts entfaltet sich auf mehreren Aluminiumtafeln von 3,5 × 2 Metern Größe. Jede Tafel ist, wie Tyson sie beschreibt, einer bestimmten „numerischen Essenz“ zugeordnet. Auf der ersten sehen wir die Sonne, auf der letzten den Mond. Sechs Tafeln sind dem Tag gewidmet, sechs der Nacht, und die Jahreszeiten werden ebenfalls behandelt. Die Tafeln enthalten alles, vom chemischen Formel für Wasserstoff bis hin zum berühmten rauchenden Cowboy aus Las Vegas und Michelangelo Caravaggios Amor – alles, was nach Tysons Ansicht zu „einer freudigen visuellen Erfahrung“ beiträgt. Wenige Künstler heute sind in der Lage, die ganze Welt mit einer solchen fast renaissancehaften Großzügigkeit zu umfassen.
Text von Noemi Smolik