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Kerstin Drechsel Kerstin Drechsel

Geboren 1966 in Reinbek, Deutschland, lebt in Berlin

„Mich interessiert der private Raum“, sagt Kerstin Drechsel. In dieser Hinsicht ist sie ziemlich radikal, denn sie schließt sogar den privatesten aller Räume ein – ihr eigenes Sexualleben. Drechsel ist lesbisch, und ihre Gemälde zeigen die nackten Körper ihrer Liebhaberinnen und Liebespaare. Sie stellt auch bestimmte intime Handlungen wie das Urinieren dar. Ihr Ziel ist es jedoch nicht so sehr, Provokation zu erzeugen, sondern zu zeigen, wie natürlich und selbstverständlich diese Handlungen sind. Selten wurde der weibliche Körper in der europäischen Kunst so offen dargestellt – und doch sind ihre Gemälde nicht vulgär, sondern wirken leicht und strahlend. Drechsel erreicht diesen Effekt durch eine einzigartige Technik und den Einsatz verschiedenster Materialien. Ihre Serie Daily besteht aus Hunderten von Aquarellen auf A4-Papier, die alltägliche Szenen aus ihrem Leben, ihren Gefühlen und Fantasien zeigen. Obwohl sie mit Öl auf Leinwand malt, verdünnt sie die Farben so stark, dass sie wie Aquarelle wirken. Die überwältigend leichten, fast transparenten Farben lassen die Bilder so erscheinen, als wären sie mit Licht durchtränkt und erinnern uns an impressionistische Gemälde. Dadurch, obwohl Drechsel dazu neigt, rohe Themen darzustellen, besitzen ihre Gemälde eine fast romantische Aura. In Heat Country ist eine Serie großformatiger Schwarz-Weiß-Siebdrucke auf Leinwand, in der Drechsel stereotypische Darstellungen lesbischer Liebe aus Pornomagazinen behandelt („baby, girl, good, slippy, mama“). Sie fotografiert versteckte Ecken, Räume mit Betten oder Badezimmer – Orte, die sie in den Häusern ihrer Freunde findet – die sie anschließend malt. Aber sie wählt nur bestimmte Orte: je mehr Unterwäsche, Toilettenpapier, zerknülltes Taschentuch und Kosmetikröhren auf dem Bett, desto besser. Inmitten dieses „Tumors des Konsums“ (Drechsels Begriff für diesen Haufen von Dingen) liegt ein Foto oder ein Paar Brillen. Nicht nur Müll und Alltagsgegenstände sind auf den Betten und Waschbecken (oder darunter und dahinter) aufgetürmt, sondern auch ein Vorrat an Reservewaren. So trägt diese Serie von Gemälden den Titel Rezerve (Reserve). Auch in Drechsels Serie Unser Haus begegnen wir Unordnung und Stapeln von Objekten. Ein Gemälde aus dem Jahr 2005 zeigt einen Raum, der bis zum Rand mit Büchern und Papier gefüllt ist. Doch Drechsel inszeniert diese Szenen keineswegs; es sind die Arbeitsräume ihrer Bekannten, Mitglieder der Berliner Kulturszene. Sie ist fasziniert von der Intensität, mit der Arbeit mit dem Privatleben vermischt wird. Die private Sphäre wird in eine unordentliche und chaotische Ansammlung von arbeitsbezogenem Material verwandelt – in diesem Fall Bücher und Papier.

Text von Noemi Smolik