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Nan Goldin Nan Goldin

Geboren 1953 in Washington D.C., USA

Nan Goldin wurde Ende der 1980er Jahre mit ihrer erschütternden Fotoserie bekannt. Warum erschütternd? Weil dies das erste Mal war, dass jemand versuchte, das künstlerische Underground-Milieu fotografisch zu dokumentieren, in dem Sex, Drogen und Gewalt Teil des Alltagslebens waren. Zwischen 1979 und 1986 war Goldin besessen davon, ihr eigenes Leben im Bowery, einem New Yorker Stadtviertel mit heruntergekommenen Straßen, günstigen Mieten, Bars, die bis in die frühen Morgenstunden geöffnet waren, und immer einer Möglichkeit für einen schnellen Drogentrip, zu dokumentieren. Goldin selbst lebte im Herzen dieser Gemeinschaft, die aus Post-Punk-Musikern, ungeschätzten Künstlern, Drogenhändlern, Homosexuellen, professionellen und unprofessionellen Mädchen, Ausgestoßenen und Verrückten aller Art bestand. Eine breite Palette von Fotografien entstanden in ihrer Wohnung, wie etwa ein Paar, das unter der Dusche Liebe macht, Mädchen mit wildem Make-up auf der Toilette, die nach einer anstrengenden Nacht friedlich schlafen, oder Freundinnen, die sich eine weitere Dosis Heroin setzen. Inspiriert von dem amerikanischen Fotografen Larry Clark, der in den 1960er Jahren das Leben von Drogenabhängigen und jungen Homosexuellen mit seiner Kamera verfolgte, setzt Goldin diese schonungslose Dokumentation des Lebens fort, das wie eine nie endende Ekstase von Drogen und Sex erscheint.

Doch dieses Leben ist erschöpfend, trügerisch und voll von Extremen und Exzessen, bei denen die sexuelle Obsession, ob homosexuell oder heterosexuell, nur noch von der Drogensucht übertroffen wird. Daher ist The Ballad of Sexual Dependency zweifellos ein treffender Titel für diese Serie, die Goldin aus dem Drama Die Dreigroschenoper des deutschen Autors Bertolt Brecht entlehnt hat. Sex, Exzesse und Drogen, typisch nicht nur für die amerikanische Kunstszene der 1980er Jahre, werden hier in einer Intimität eingefangen, die nie zuvor gesehen wurde und sowohl die Fotografin als auch uns Zuschauer zu Komplizen des Aktes macht oder zumindest zu Insidern. Als AIDS beginnt, in Goldins Freundeskreis aufzutauchen, hört diese unermüdliche Dokumentarfotografin, kühn, aber mit Würde, nicht auf zu beobachten, wie Krankheit und Tod ihr Umfeld übernehmen. Abgemagerte Körper, fiebrige Blicke, Verzweiflung und Angst, aber auch Momente der Zärtlichkeit, Dankbarkeit und Zuneigung sind in ihren Fotos zu sehen. Cookie, eine unvorsichtige Freundin, die vor Goldins Linse an AIDS stirbt, wird schnell für die New Yorker Kunstszene zur Verkörperung der zerstörerischen Kraft dieser schrecklichen Krankheit. Weitere Fotoserien folgen in den 1990er Jahren, wie etwa I’ll Be Your Mirror. Diese erreichen jedoch nicht einmal annähernd die Intensität der kraftvollen und zärtlichen Bilder, die Goldin in den 1980er Jahren zu Ruhm verhalfen.

Text von Noemi Smolik