Geboren 1963 in Teheran, Iran, lebt in London
Der Modernismus in der Form, wie er sich nach 1945 in der westlichen Welt etablierte, war geprägt von einem Anspruch auf Universalität, Perfektion und Zeitlosigkeit. Für Theoretikerinnen und Künstlerinnen sollte moderne Kunst – insbesondere abstrakte Malerei und Skulpturen mit strengen geometrischen Formen – von allen Menschen verstanden werden können, unabhängig von kulturellen oder religiösen Traditionen. Sie sollte eine Idee von Vollkommenheit und ewiger Gültigkeit ausdrücken. Der Modernismus betrachtete die abstrakte Kunst, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa entstand, als höchste und letzte Stufe der fortschreitenden Entwicklung. Alles andere – gegenständliche Malerei, Volkskunst oder dekorative Formen – galt als minderwertig.
Dieser hegemoniale Anspruch stört Shahin Afrassiabi – einen Künstler mit nicht-europäischem kulturellem Hintergrund. In seinen Installationen, Skulpturen, Gemälden und Fotografien setzt er sich auf satirische Weise mit den westlichen Idealen von Universalität, Perfektion und ewiger Relevanz auseinander. Inmitten eines Ausstellungsraums errichtet er eine asymmetrische Struktur aus Holzlatten, die eher wie ein Gerüst denn wie ein klassisches Kunstwerk wirkt. Die Elemente scheinen lose und zufällig miteinander verbunden – nichts ist vollkommen, im Gegensatz zur industriell gefertigten Ästhetik des minimalistischen Modernismus. Die Arbeit, die bewusst an die russischen Konstruktivisten erinnert, hebt die Vergänglichkeit, Instabilität und Zerbrechlichkeit der Dinge hervor – Eigenschaften, die im modernistischen Denken keinen Platz hatten.
Afrassianis Installationen erinnern oft an Baugerüste – funktionale Strukturen mit dienendem Charakter im Alltag und auch beim Erschaffen von Skulpturen. Im Kontext einer Ausstellung jedoch verwandeln sie sich in autonome Kunstwerke, indem sie jede Funktionalität verweigern. Der Künstler transformiert nicht nur die Funktion von Objekten, sondern auch deren Bedeutung. Während der Modernismus davon ausging, dass Form und Bedeutung untrennbar und universell seien, widerspricht Afrassiabi dieser Annahme: Zusammengefügte Latten können sowohl Gerüst als auch Zaun oder Kunstwerk sein. Ebenso können grellfarbige Vasen, wenn sie in einer Reihe präsentiert werden, als Skulptur verstanden werden.
Afrassiabi begleitet seine Arbeiten mit Farbfotografien von gehenden Mädchen – aufgenommen mit einer billigen Digitalkamera, direkt aus Google Street View. Diese unscharfen Bilder erinnern nicht nur an die Amateurfotografien von Miroslav Tichý, sondern verweisen auch auf die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des eigenen Alltags – ein Thema, das im europäischen Modernismus weitgehend ausgeklammert blieb.
Text von Noemi Smolik