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Shaun Gladwell Shaun Gladwell

Geboren 1972 in Sydney, Australien, wohnhaft in Sydney und London

Kunst liegt im Auge des Betrachters. Wenn Shaun Gladwell sich, wie in Self-Portrait Spinning (Paris) von 2002–2013, auf seinem Skateboard vor Sehenswürdigkeiten wie dem Louvre oder der Bastille im Kreis dreht, hat er die Postkartenmotive der Stadt im Sinn, doch die Geschwindigkeit seiner Bewegung lässt den üblichen allumfassenden Panoramablick durch eine Art Blindheit ersetzen. Im Gegensatz dazu rückt der Blick von außen in den Vordergrund. Als Selbstporträt basiert das Video auf der Bewegung des Künstlers, der sich im Kreis dreht, und dem betonten Blick des Betrachters auf den Künstler. Die Bewegung ist in Zeitlupe, während die Stadt in normalem Tempo weiterzieht. Gladwell artikuliert die verschiedenen Wahrnehmungsebenen der Betrachter in ihren unterschiedlichen Erfahrungsbereichen. Der Künstler — der in einem Bewegungsbereich existiert, der von der umgebenden Realität getrennt ist — kann diese nicht begreifen; der Betrachter außerhalb des Erfahrungsbereichs des Künstlers jedoch sieht sie klar, obwohl der Standpunkt des Künstlers verborgen bleibt und nur indirekt durch das Beobachten des Körpers in Bewegung verständlich wird. Die Grenze zwischen Bild und Betrachter wird durch Verschiebungen und Kombinationen von Wahrnehmungsweisen innerhalb und außerhalb des Mediums neu verhandelt. Die gleichnamigen Fotografien enthüllen kontrafaktische Aspekte des Selbstporträts des Künstlers. Wegen der Notwendigkeit, still zu bleiben, stellen Künstler, die Selbstporträts malen, sich selbst lediglich als Personen dar, die einen Pinsel halten. Im Vergleich dazu ist Gladwell — dessen Kunst auf Bewegung im Raum basiert — ständig in Bewegung, während er sein Selbstporträt aufzeichnet. Sein Bild mag verschwommen sein, doch die dadurch signalisierte Geschwindigkeit passt ihm als Künstler der Bewegung perfekt. Der in Australien geborene Künstler ist fasziniert von der Idee, Raum durch seine eigene Bewegung zu begreifen. Er betrachtet seine Werke als Spuren einer Erfahrung, als eine Form direkter Auseinandersetzung. „Ich interessiere mich dafür, wie Körper sich durch den Raum bewegen und die Fähigkeit der Körper, in bestimmten Situationen zu performen.“ Mit seiner Serie Sleeping Soldiers (Afghanistan, 2009) schuf Gladwell ein Werk, das sich um Erfahrung und Wahrnehmung dreht. „Die Werke wurden von mehreren historischen Gemälden inspiriert, bei denen das Motiv schlafend ist — was für mich ein Rätsel ist — den Motiv zu beobachten, aber nie zu wissen, was sie in ihren Träumen sehen könnten.“ Auch hier begegnen wir dem Thema des unerwiderten Blicks und verschiedenen Formen der Wahrnehmung in unterschiedlichen Erfahrungsbereichen. Die Fotografien verraten nicht, ob die Soldaten erschöpft oder tot sind. Es liegt alles im Auge des Betrachters.

Text von Cora Waschke