Geboren 1970 in Baden, Schweiz, lebt in Zürich
„…weil wir wissen, wenn wir all diese Zentimeter zusammenzählen, wird das den verdammten Unterschied ausmachen zwischen Gewinnen und Verlieren! Zwischen Leben und Tod!“ So klingt eine alte, gebrochene Stimme mit dem gewohnten amerikanischen Pathos in Thomas Gallers Videoarbeit Inches. Wir sehen junge Soldaten am Ende einer Mission—tief in Gedanken, die Schrecken erinnernd, die sie gerade erlebt haben. Doch die Rede war nicht für sie bestimmt. Sie stammt nicht aus dem Kriegsdrama The Thin Red Line (1998), aus dem die Bilder entnommen wurden, sondern aus Any Given Sunday (1999), einem Film über den amerikanischen Traum vom Football – ein Fakt, den der Zuschauer erst am Ende des fünfminütigen Videos erfährt. Die Erfahrung dieser ungestörten Konvergenz zweier filmischer Elemente kann zu einer Neubewertung der Bedeutung von Sport und Krieg führen, wie sie in amerikanischen Filmen präsentiert werden. Meditationen über Gallers Inches (2005) könnten in zwei Einsichten gipfeln: Sport macht Gebrauch von einer übertriebenen militärischen Rhetorik. Und: Sprechweisen wie diese können letztlich dazu führen, dass wir echte militärische Konflikte verharmlosen oder unser Blick darauf getrübt wird. Aber Galler arbeitet nicht mit didaktischen Hammerschlägen. Anders konditionierte Zuschauer könnten von der emotionalen Ladung der Rede eingenommen werden und die Kombination von Sport und Krieg nicht sofort als anstößig empfinden. Doch der Zuschauer, der die Konstitution des Werks und den Ansatz des Künstlers berücksichtigt, wird kaum die kritische Reflexion übersehen. Die „Assemblagen“ visuellen Materials gehen einer intensiven Suche des Künstlers zu einem bestimmten Thema voraus. Die Serie Weapons Collections (2002–2008) besteht aus Bildern aus zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften, die Waffen in verschiedensten Kontexten zeigen. Dokumentarische und reportagehafte Fotografien, künstlerische Bilder, Zeichnungen und Filmstills werden in einer lockeren und standardisierten Kombination präsentiert. Indem er die mediale Darstellung der Welt und deren Konsolidierung erforscht, wird in Gallers Arbeiten die Bedeutung von Inszenierung deutlich. Die Wahrheit, die die verschiedenen Medien zeigen, ist auch eine, die sie formen. Die Medien beeinflussen, mit welchen Dingen wir eine bestimmte Botschaft assoziieren. Der Kampf um die Interpretation von Ereignissen wird nicht zuletzt in den Medien entschieden—die Macht der Bilder bleibt ungebrochen. Galler hält diesem Zustand unserer Wahrnehmungswelt den Spiegel vor.
Text von Cora Waschke