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Thomas Helbig Thomas Helbig

Geboren 1967 in Rosenheim, lebt in Berlin

Es gibt etwas, das Thomas Helbig einzigartig macht: Ob Skulpturen, Zeichnungen oder Gemälde – all seine Werke tragen eine besondere Präsenz der Vergangenheit in sich. Was bedeutet das? Vielleicht lässt sich das am besten anhand seiner Skulptur Engelchen (2008) erklären. Auf einem vierseitigen, weißen Podest aus Beton – also aus modernem Material – befindet sich ein merkwürdiges Bronzefragment einer antiken Skulptur. Oder ist es vielleicht ein Metallteil, das von einer industriellen Turbine abgebrochen ist? Es ist schwer zu sagen. Auf dieser Konstellation, sei sie nun antik oder industriell, sind deutlich erkennbare Flügel positioniert. Fast automatisch denkt man beim Anblick dieser Skulptur an die geflügelte Siegesgöttin Nike, die im Pariser Louvre mit ausgebreiteten Flügeln die Besucher triumphierend empfängt. Doch diese Göttin scheint den Bombenhagel auf Dresden im Jahr 1945 durchlebt zu haben – ein bis heute traumatisches Ereignis der deutschen Geschichte. Teile der Skulptur und des Sockels sind geschmolzen und auf unterschiedliche Weise beschädigt. Von Sieg, Triumph oder Ruhm ist hier keine Spur. Und genau darin liegt die Kraft von Helbigs Arbeiten: Sie verkörpern Vergangenheit auf eine Weise, die nicht in nostalgische Erinnerungen führt, sondern uns zwingt, über die Gegenwart nachzudenken.

Dieser dekonstruktive Prozess, der die Gegenwart in mythische Bilder der Vergangenheit einschreibt, zeigt sich noch deutlicher in Helbigs Malerei. Oft verwendet er abstrakte geometrische Formen. Doch anstatt Strenge, Rationalität, Entschlossenheit und einen klaren Blick in die Zukunft zu vermitteln – wie es bei klassisch geometrischer, moderner Malerei üblich war – erzeugen Helbigs Formen ein Gefühl von Unschärfe, Unentschlossenheit, Zögern und Geheimnis. Doch das ist nicht alles. Häufig überschreitet er die Grenze zur Narration – was in der modernen Malerei als Vergehen galt. Die Formen sollten Reinheit bewahren und jeder assoziativen Themenhaftigkeit widerstehen. Nicht so bei Helbig. Auf einem schwarzen Hintergrund ist ein weißes Quadrat zu sehen, dessen obere Ecke scheinbar herausgerissen ist. Im beschädigten Bild erkennt man das legendäre Quadrat des russischen Künstlers Kasimir Malewitsch. Mit einem groben Pinselstrich erscheinen zwei gemalte Ovale auf der weißen Fläche, zwischen ihnen schwingt ein Pendel mit einer Kugel am Ende. Das Werk aus dem Jahr 2009 trägt den Titel Blüte. So integriert Helbig fremde Elemente in den Bezug zur klassischen Moderne und ruft dabei ein Gefühl des Rätselhaften hervor. In manieristischer Weise bringt er die Vergangenheit in die Gegenwart – und die Gegenwart in die Schatten der Vergangenheit.

Text von Noemi Smolik