Geboren 1954 in Bruck an der Mur, Österreich, lebt in Wien und Limburg
Wurden Sie schon einmal auf einer Ausstellung gebeten, einen Bleistift, einen Radiergummi, eine Tasche, eine Orange oder Banane zu nehmen und mit einem oder mehreren dieser Objekte ungewöhnliche Dinge zu tun, wie den Bleistift in Ihre Nase oder Ihr Ohr zu stecken oder die Tasche über Ihren Kopf zu legen? Nein? Dann haben Sie wahrscheinlich noch nie eine Ausstellung des berühmtesten österreichischen Künstlers, Erwin Wurm, besucht. Und Sie haben somit auch die Chance verpasst, in dieser Pose fotografiert zu werden und in die Geschichte als „One Minute Sculpture“ einzugehen.
Seit Ende der 1980er Jahre experimentiert Wurm nicht nur mit sich selbst (die Fotos, auf denen er mit Bleistiften in der Nase und in den Ohren, mit einem Radiergummi im Mund, mit vergrößerten Linsen auf den Augen oder mit einer Banane zwischen den Beinen posiert, sind wohlbekannt), sondern auch mit dem Publikum. Doch Besucher werden nicht für 15 Minuten zu Prominenten, wie es Andy Warhol einst erdachte, sondern für eine Minute zu einer Skulptur. Jeder und alles kann Kunst sein, wie es der deutsche Künstler Joseph Beuys erklärte. Und Wurm scheint von dieser Vorstellung angetrieben zu sein. Doch seine bizarre, manchmal sarkastische Art, Trivialität in Kunst zu verwandeln, offenbart auch den Humor dieser Idee. Ist eine Person mit einem Eimer auf den Schultern oder mit dem Kopf in einem Hundehäuschen Kunst?
Das Thema von Wurms Schöpfungen ist die Trivialität, und die Art und Weise, wie er sich damit auseinandersetzt, ist Humor. „Ich denke, dass Wahrheiten über die Gesellschaft und das menschliche Dasein auf verschiedene Weise ausgedrückt werden können. Ein Mensch kann nicht immer todernst sein. Sarkasmus und Humor können uns helfen, die Dinge in rosigeren Farben zu sehen“, erklärt Wurm, der Humor als Waffe gegen die Missstände der Gesellschaft betrachtet – wie etwa die Gier der Vorstadthäuslebauer. Deshalb fertigt er obskure Modelle von seinen Idolen, von Autos und Häusern, die fettleibigen menschlichen Körpern ähneln und die kriechende Bedrohung der westlichen Zivilisation darstellen. „Fat Car“, dessen Scheinwerfer nicht mehr funktionieren, weil sie mit fetten Kissen bedeckt sind, oder „Fat House“, dessen Wände so aufgebläht sind, dass sie kaum noch unter das Dach passen, und manchmal auch menschliche Figuren, die in rollende Bälle verwandelt werden.
Wurm wurde 2003 bekannt, als die Musikgruppe Red Hot Chili Peppers von seinen „One Minute Sculptures“ inspiriert wurde. 2006 sorgte er für erheblichen Aufruhr, als er ein echtes Familienhaus auf das Dach eines Museums im Wiener MuseumsQuartier montierte, jedoch mit dem Boden nach oben. Und das ist keine Kunst?
Text von Noemi Smolik